Trauergruppe Emily

Trauergruppe Emily - Ein guter Ort, um seinen inneren Frieden wiederzufinden

Claudia Reisinger,

Trauergruppe Emily, Marburg-Wehrda

 

In Marburg-Wehrda hat sich seit 2004 eine Trauergruppe etabliert, die nach einer verstorbenen jungen Frau benannt wurde.

Die erwähnte Trauergruppe heißt nicht ohne Grund »Emily«. Ihr Name erinnert an eine wahre Geschichte. Emily war ein siebzehnjähriges Mädchen, das auf einer Urlaubsreise mit dem Auto nach Spanien unterwegs war und dort bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Die Familie traf der unerwartete Tod des Mädchens sehr. So besuchten die Eltern mit ihren Töchtern ein Zentrum für Trauernde und fanden dort sehr viel Unterstützung. Ihnen wurde gezeigt, wie man den Schmerz über den Verlust Emilys verarbeiten kann. Darüber hinaus wurde es den Angehörigen nach dieser Trauerarbeit möglich, auch die Trauer anderer zu verstehen. Die Trauergruppe trägt Emilys Namen und symbolisiert den Schmerz der Familie, die Trauer und den schweren Weg, den die ganze Familie gemeinsam gegangen ist. Der Name der Gruppe soll auch die Hinwendung zum Leben nach einem schweren Verlust symbolisieren. Zugleich gilt er der Erinnerung an die Verstorbene und steht für den Wunsch Emilys, anderen Menschen helfen zu wollen.

Die Trauergruppe Emily möchte sowohl Kindern als auch deren Angehörigen helfen, die Trauer über den Tod eines Familienmitgliedes zu bewältigen. Denn wenig Beachtung finden in der Trauerarbeit bislang die betroffenen, angehörenden Kinder. Hier schafft die Gruppe einen neuen Trauer-, aber auch Lebensraum und Fokus. Die Gruppe hat nicht nur einen Schwerpunkt in der Erwachsenen-, sondern vor allem auch in der Kinder- und Jugendarbeit.

 

…. Die Trauergruppe ist ein Angebot, der evangelischen Gemeinde der Martinskirche in Marburg-Wehrda.

Es wurden Kindergruppen unterschiedlichen Alters gebildet, um spezielle Fragestellungen zu berücksichtigen. Parallel zur Kindergruppe treffen sich die betroffenen Elternteile in einem separaten Raum und reden über ihre Sorgen, die Trauer und über das, was sie sonst im Alltag zu bewältigen haben. So betreut Pfarrer Wehrmann die Kinder und versucht ihnen spielerisch zu zeigen, dass sie mit ihrer Trauer und vor allem mit dem Verlust eines Familienmitgliedes nicht alleine sind. Die Kinder bemerken in der Gruppe, dass es auch weitere Gleichaltrige gibt, denen ein ähnliches Schicksal passiert ist. Der Verlust eines nahen Familienmitgliedes gewinnt so eine gewisse Normalität, und es wird klar, dass die Not und Trauer mehr Menschen getroffen hat, als man gedacht hat. Es entstehen ungezwungene Kontakte der Kinder untereinander, die die Basis der Trauerarbeit bilden können. ….

Neben der Trauergruppe für Kinder gibt es eine weitere separate Gruppe, in der sich Jugendliche, die eine nahestehende Person durch Tod verloren haben, treffen. Diese Gruppe vereinbart untereinander nach Bedarf Termine und trifft sich meistens ein- bis zweimal im Monat, um dann zum Beispiel miteinander zu kochen oder einfach über die Trauer oder die Schwierigkeiten des Alltags zu sprechen.

Die Trauergruppe Emily ist kostenfrei und finanziert sich ausschließlich aus Spenden.

Die Trauergruppe ist mir aus eigener Erfahrung bekannt. So habe ich selbst 2010 einen geliebten Menschen verloren. Als damals mein Vater nach langer Krankheit starb, wollte ich zuerst niemanden an mich heran lassen. Ich habe versucht, den Tod meines Vaters zu verdrängen. Irgendwann bemerkte ich jedoch, dass meine Methode, mit der Trauer umzugehen, nicht die beste war. Meine Mutter besuchte eine Trauergruppe für Erwachsene in Gießen und brachte von dort die Information über die Marburger Trauergruppe für Kinder mit. So entschied ich mich mit sechzehn Jahren Kontakt zur Trauergruppe Emily zu suchen. Ich besuchte die Internetseite der Gruppe und wandte mich an den leitenden Pfarrer. Er lud mich ein, und ich redete zuerst alleine mit ihm. Anschließend lernte ich immer weitere Jugendliche mit gleichen Gedanken und ähnlichen Schicksalen kennen. Diese Möglichkeit, sein Leid mit »Gleichgesinnten« zu teilen, war für mich sehr hilfreich. In meinem normalen Umfeld war ich allein mit meinem Schicksal und fühlte mich oft als Außenseiter. Ich verschwieg meine Vergangenheit, und normale Fragen, wie zum Beispiel nach dem Beruf meines Vaters, brachten mich in Schwierigkeiten. Auch wenn es uns allen anfangs etwas schwer fiel, völlig fremden Jugendlichen unsere Geschichte zu erzählen, war es schön zu wissen, dass es nicht schlimm ist, auch einmal weinen zu müssen, denn die anderen hatten ja Verständnis.

Ich hatte mit dem Tod meines Vaters vor allem am Anfang sehr zu kämpfen. Ich konnte mit niemandem darüber reden und wollte dies auch nicht. Durch die Trauergruppe und das Wissen, dass es auch andere Jugendliche gibt, die vielleicht ein ähnliches Schicksal erlebt hatten, fiel es mir von Treffen zu Treffen leichter, über den Verlust meines Vaters zu sprechen.

Die lange, schwere Krankheit meines Vaters und sein Tod haben meinen inneren Frieden über viele Jahre gestört. Aber durch die Trauergruppe Emily ist es mir endlich gelungen, meinen inneren Frieden wiederzufinden.

Abschließend kann ich sagen, dass die Trauergruppe für mich ein guter Weg war bzw. ist, mein inneres Gleichgewicht und eine vollkommene Zufriedenheit wiederzufinden. Nach den Gesprächen fühlt man sich meist unbeschwerter und ruhiger. Für mich bedeutet innerer Frieden Ruhe, Harmonie und Ausgeglichenheit, ohne die man nicht leben kann.

(Aus: Holger Speier, (Hg.) Gott heisst Versöhnung, Marburger Religoionsgemeinschaften für den Frieden, Marburg  2017, S 167-169)

Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.